Einem jungen Kapellmeister ins Stammbuch geschrieben
- Bedenke, daß du nicht zu deinem Vergnügen musizierst, sondern zur Freude deiner Zuhörer.
- Du sollst beim Dirigieren nicht schwitzen, nur das Publikum soll warm werden.
- Dirigiere "Salome" und "Elektra" als seien sie von Mendelssohn: Elfenmusik.
- Schau niemals aufmunternd das Blech an, außer mit einem kurzen Blick, um einen wichtigen Einsatz zu geben.
- Dagegen lasse niemals Hörner und Holzbläser aus dem Auge: wenn du sie überhaupt hörst, sind sie schon zu stark.
- Wenn Du glaubst, das Blech blase nicht stark genug, so dämpfe es nochmals um zwei Grade ab.
- Es genügt nicht, daß du jedes Wort des Sängers, das du auswendig weißt, selber hörest, das Publikum muß mühelos folgen können. Versteht es keinen Text, so schläft es.
- Begleite den Sänger stets so, daß er ohne Anstrengung singen kann.
- Wenn du glaubst, das äußerste Prestissimo erreicht zu haben, so nimm das Tempo noch einmal so schnell.
- Wenn Du dies alles freundlich bedenkst, wirst du bei deiner schönen Begabung und deinem großen Können stets das ungetrübte Entzücken deiner Hörer sein.
Richard Strauss (1925)